Aufnahmesession: Elvis Inside Western Recorders Juni 1968
JUST ELVIS lautete ursprünglich der Arbeitstitel der heute als ’68 Comeback-Special bekannten Fersehsendung, mit der Elvis Presley 1968 seine Rückkehr auf die Konzertbühne einläutete.

Intensiv: Elvis Presley bei den Aufnahmen zum 68 Comeback Special, das zunächst den passenden Arbeitstitel JUST ELVIS trug.
Überzeugt vom Konzept des Teams um Co-Produzent Bob Finkel, Regisseur Steve Binder und Musikproduzent Bones Howe hatte Elvis Presley im Frühjahr 1968 vor allem die Zusage, dass der komplette Fokus der Show – anders als seine bisherigen Erfahrungen mit dem Medium Fernsehen – ganz auf seiner Person und vor allem seiner Musik liegen würde. Angelegt war das Special als musikalische Semidokumentation, die die gesamte Palette des Musikers Elvis Presley zeigen sollte.

Das Produktionsteam (v.l.n.r.): Bones Howe, Steve Binder, Elvis Presley, Bob Finkel mit Joe Esposito bei einer Pressekonferenz im Juni 1968.
Was so einfach und überzeugend klang, erwies sich in der Praxis als nicht ganz so leicht. Als man Anfang Juni 1968 mit dem Proben zunächst in den Produktionsräumen von Binder und Howe, später dann auf dem Gelände des NBC-Studios in Los Angeles begann, entwickelte sich das Drehbuch – nicht zuletzt durch die Anwesenheit und Mitarbeit Elvis Presleys, der dort sozusagen einzog – noch einmal beträchtlich. Er brachte selbst eine ganze Reihe Ideen ein, wie Howe 2008 in einem Interview beschrieb:
„I have to hand it him, Elvis was a real trooper. He came to the office every day and worked with the guys who were writing the script. He worked with the guys who were writing the songs. He was amazing. He rolled up his sleeves and became part of the production crew. He came to every rehearsal, he rehearsed with the dancers. He really loved doing that work.“
Bones Howe, 2008
Deswegen stand der musikalische Rahmen erst, als die Musiker am 20. Juni im Aufnahmestudio von Western Recorders erstmals zusammenkamen, um die Produktionsnummern vorab aufzunehmen, die den erzählerischen Faden der Semidokumentation bildeten. In anderen Worten: die Medleys.
Die Musiker, die darauf zu hören sind, sind im TV-Special bis auf die Background-Sängerinnen der Formation The Blossoms aus der Gospel-Sequenz nicht zu sehen. Rückblickend ist das schade, denn es waren sehr namhafte Musiker darunter.
Der King trifft auf „The Wrecking Crew“ mit NBC-Orchester
Musikproduzent Dayton Burr „Bones“ Howe, der in den 1950ern unter Thorne Nogar bereits erfolgreich mit Elvis u.a. bei den Soundtracks zu Jailhouse Rock (1957) und King Creole (1958) gearbeitet hatte, setzte sich dafür ein, dass der Medley-Soundtrack nicht – wie ursprünglich geplant – einfach bei NBC aufgenommen wurde, weil er aus Erfahrung wusste, dass Elvis für seinen Sound eine richtig angesagte Rhythmustruppe brauchte.
Und die gab es beim damals sehr gefragten, unabhängigen Studio (United) Western Recorders auf dem Sunset Boulevard, wo Howe selbst unter anderem Gruppen wie etwa die The Mamas and The Papas (California Dreamin‘) mit Erfolg produzierte.
Denn bei Western arbeitete eine Gruppe ausgezeichneter Session-Musiker, die sich selbst augenzwinkernd „The Wrecking Crew“ (etwa „die Abriss-Truppe“) nannte. Die etwa 30 Musiker, zu denen auch der kürzlich verstorbene Schlagzeuger Hal Blaine gehörte (1929-2019) – er prägte den Namen für die Gruppe -, waren keine feste Band, sondern eher eine lose Formation, die in unterschiedlichen Konstellationen zum Einsatz kam.
Man sagt der Wrecking Crew nach, dass sie auf hunderten Studioaufnamen der namhaftesten Künstler mit den größten Hits der 1960er gespielt haben – darunter die schon erwähnten The Mamas and The Papas, The Byrds, The 5th Dimension, The Carpenters, Simon & Garfunkel, Beach Boys, Wall-of-Sound-Produktionen von Phil Spector, Sonny & Cher, Frank sowie Nancy Sinatra… und Elvis.
Blaine, der eigentlich aus dem Jazz kam, gilt als der Schlagzeuger der Rockgeschichte, der auf den meisten Hitsingles der Ära zu hören ist. Einer seiner ersten war Elvis‘ Klassiker Can’t Help Falling In Love von 1961.

Elvis umringt von den Wrecking Crew-Gitarristen Tommy Tedesco (links) und Mike Deasy im Studio Western Recorders, Juni 1968.
Fast schon logisch, dass er mit dem harten Kern der Wrecking Crew – zu dem nach seiner Aussage u.a. Gitarrist Tommy Tedesco, Pianist/Keyboardist Don Randi und Bassist Larry Knechtel gehörten – auch bei den Soundtrackaufnahmen zu JUST ELVIS alias dem 68 Comeback Special mit an Bord war:
“Working with Elvis was always a wonderful experience. It was a thrill and quite a feather in my cap. Everybody was envious of me. Elvis was a terrific guy. Elvis never said anything about what we’d recorded, but that’s how you knew you did something right. He only spoke up if he didn’t like something.“
Hal Blaine zitiert nach Joe Bosso, März 2019
Neben den Gitarristen Tommy Tedesco und Mike Deasy, Schlagzeuger Blaine und Bassist Knechtel waren außerdem noch Pianist Don Randi, Bassist Charles Berghofer, Gitarrist Al Casey, John Cyr und Elliot Franks (Percussions) und Frank de Vito (Bongos) sowie Tommy Morgan (Mundharmonika) bei Elvis‘ Studiosession am Start. Und das war längst noch nicht alles.
Die Wrecking Crew-Truppe traf nämlich auf das üppige NBC-Orchester, das Komponist Billy Goldenberg (* 1936) – später bekannt durch seine Filmusiken für Steven Spielberg und die Kult-Serien Columbo sowie Kojak – im Schlepptau hatte.
Goldenberg war von Steve Binder engagiert worden, um sich um die Orchester-Arrangements zu kümmern, als sich herausstellte, dass Elvis‘ Wunschpersonalie, der Singer-/Songwriter/Gitarrist und Arrangeur Billy Strange (1930-2012), der den King in den 1960ern bei mehreren Soundtracks unterstützt hatte, nicht liefern konnte.
Da Binder inzwischen einen sehr guten Stand bei Elvis hatte, konnte er durchsetzen, dass Strange, der wohl auch ziemlich großmäulig auftrat, gehen musste und durch Goldenberg ersetzt wurde.

Billy Goldenberg war sich zunächst alles andere als sicher, ob er mit Elvis Presley eine Basis finden würde.
Dabei hatte Goldenberg zunächst ganz schöne Bauchschmerzen bei einer Elvis-Produktion mitzumachen, wie er heute zugibt. Schließlich hatte er bis zu diesem Zeitpunkt mit Rock ’n‘ Roll wirklich gar nichts am Hut – seine Welt waren die großen Broadway-Musicals:
„My music was the music of My Fair Lady, West Side Story, the important musicals in the 50’s […] but I had absolutely no interest in Elvis Presley. […] So Steve set up a meeting at his Binder-Howe Sunset Boulevard offices. In came Elvis, looking absolutely terrific. I mean, he was at the top of his form. He looked good. He spoke well. But looking around the room, with the exception of Elvis and Steve [Binder], I didn’t find too many faces I could relate to. I mean, here is this middle class Jewish kid from new York who plays the piano and likes classical music […] What do I have in common with his people who are all country guys and not really aware of the same sort of things that I was? So, I became, I guess, a little bit of an enemy, and I knew it. But I liked Elvis enormously.“
Billy Goldenberg, zitiert nach ’68 Comeback Special 50th Anniversary Edition, 2018
Der King muss gespürt haben, dass es anfangs Berührungsängste zwischen Goldenbergs und seiner Welt gab, denn er baute seinem neuen Arrangeur geschickt eine musikalische Brücke.
Wie er das machte? Er spielte während der Arbeit mit Goldenberg klassische Stücke auf dem Klavier, etwa Beethovens Mondscheinsonate. Es verfehlte seine Wirkung auf Billy Goldenberg nicht, der sich zu seiner Überraschung plötzlich in der Situation sah, durch die Arbeit mit dem Mann aus Memphis, seinen eigenen musikalischen Horizont zu erweitern. Dabei war er doch eigentlich mit dem Vorsatz angetreten, den Horizont Elvis Presleys zu erweitern, ihn sozusagen „zu modernisieren“:
„I originally set out to do this special and bring Elvis into the contemporary world. But you know something? The odd thing is I think he brought me into the contemporary world. I had never listened closely to his music. Now I was forced to listen closely to his music and somehow translate it into something newer. But at the same time, I heard music I had never heard before. I heard gospel music. I heard Rock ’n Roll. This was actually my introduction to [rock ’n roll]. So he did as much for me as I did for him.“
Billy Goldenberg, zitiert nach ’68 Comeback Special 50th Anniversary Edition, 2018
Der Lauscher an der Studiowand
Insgesamt war die Aufnahmesession zu den Medleys eine eher ungewöhnliche Elvis-Studiosession, denn die Musiker nahmen nicht in erster Linie ganze Songs, sondern einzelne Segemente auf, die später für den erzählerischen Rahmen des TV-Specials zusammengesetzt wurden.
Das war für Elvis zwar eine neue Arbeitsweise, aber keine, die ihn aus dem Konzept brachte – man hört an den Aufnahmen, dass er Spaß hatte. Sorge bereitete ihm anfangs allein das große Orchester. Steve Binder musste ihm vor der Session versprechen, dass sie das Orchester nach Hause schicken würden, wenn er nicht überzeugt vom Sound wäre.
Aber die Sorge war unbegründet, denn sowohl Goldenberg als auch Howe hatten ihre Hausaufgaben gemacht.
Howe profitierte davon, dass er Elvis Presleys Arbeitsweise bereits aus den 1950ern gut kannte und daher für die richtigen Rahmenbedingungen sorgen konnte. Er akzeptierte die Rolle des Stars als Co-Produzenten, der gerne selbst die Kontrolle im Studio behielt, und gab ihm gleichzeitig die Freiheit, bei den Aufnahmen so zu performen, als wäre er auf einer Bühne…
„Anyone who produced a record with Elvis realized that Elvis was the co-producer. […] He was also a guy who wanted freedom, and you should have seen the faces on the string section when he did knee drops when he was recording. He would perform. He didn’t want to be stuck in one place. He always moved. I just gave him a hand mike with a lot of wire, and he walked around in front of the rhythm section and the string section when he was recording.“
Bones Howe, zitiert nach Allen J. Wiener: Channeling Elvis, 2014
Auch Goldenberg profitierte erheblich davon, dass er mit Elvis im Sommer 1968 persönlich im Studio und bei den Proben zusammenarbeiten konnte und daher – anders als die meisten der Komponisten, die etwa für die Elvis‘ Film-Soundtracks komponierten – trotz anfänglicher Berührungsängste eine gute Vorstellung davon entwickelte, wen sein Orchester im Zusammenspiel mit den Wrecking-Crew-Musikern musikalich in Szene setzen sollte:
„There was a darkness about Elvis, which was very raw. What I wanted to do was create music which was dark, at the same time taking advantage of the music that the orchestra could do. [The movie] Psycho had just come out […] Quincy Jones‘ In Cold Blood was one of the scariest scores I ever heard for a movie. And I thought that kind of music very, very much is what I want to get into, because what is Elvis? Elvis is seductive. The two words that pushed me the most were sex and murder. That’s what I was thinking when I did a lot of the arrangements.“
Billy Goldenberg, zitiert nach ’68 Comeback Special 50th Anniversary Edition, 2018
Wie es bei der Aufnahmesession genau zuging, kann man sich heutzutage – ziemlich cool – als „Lauscher an der Studiowand“ unter anderem auf dem Boxset ’68 Comeback Special 50th Anniversary Edition (2018) anhören. Hier eine Auswahl.
Die Benennungen der Audios verweisen auf die einzelnen Erzählsequenzen im TV-Special, woran man sie entsprechend gut identifizieren kann, wenn man sich das Special anschaut:
Nothingville (Guitar Man’s Evil #1)
Guitar Man (Guitar Man’s Evil #1)
Let Yourself Go, part 1 (Guitar Man’s Evil #2)
Let Yourself Go, part 2 (Guitar Man’s Evil #3)
Guitar Man (Escape #1, fast)
Big Boss Man (Escape #3)
It Hurts Me, part 1 (Escape #4)
It Hurts Me, part 2 (After Karate #1)
Guitar Man (After Karate #2)
Little Egypt (After Karate #2)
Trouble/Guitar man (After Karate #3)
Sometimes I Feel Like A Motherless Child/Where Could I Go But To The Lord (Gospel #1)
Up Above My Head/Saved (Gospel #2)
Den Höhepunkt der Aufnahmesession markierte einer der persönlichsten Elvis-Songs überhaupt, der nicht von ungefähr zu einer seiner emotionalsten Auftritte – zu sehen als Schlussnummer im ’68 Comeback Special – führte: If I Can Dream. Dazu mehr in Teil 4 der Serie.
Serie ’68 Comeback Special ELVIS
Teil 1: ELVIS 1968 – Prelude
Teil 2: Just Elvis – Vision und Konzept des ’68 Comeback-Specials
Teil 3: Aufnahmesession: Inside Western Recorders – 20. bis 23. Juni 1968
Teil 4: If I Can Dream: Elvis, Martin Luther King und Bobby Kennedy
Teil 5: Der Klassiker – Elvis unplugged
Teil 6: Spotlight 3. Dezember 1968: Singer presents ELVIS (in Arbeit)
Sehr toll, hat unglaublich Spaß gemacht zu lesen.
Danke!
Ich bin ein großer Fan von Elvis und lese diesen Artikel mit Interesse. Wunderbar geschrieben.. Genau so habe ich mir den King vorgestellt. Vielen Dank für diese aufschlussreichen Zeilen!!!
Einmal mehr ein hervorragend recherchierter und sehr gut geschriebener Artikel von The Memphis Flash. Ganz herzlichen Dank!